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Reisereportagen aus Südamerika

Unterwegs in Venezuela

Unterwegs in Bussen und Booten, in der Cessna, im Jeep, zu Fuß. In die Guácharo-Höhle auf Humboldts Spuren, ins Orinoco-Delta, zum Tafelbergtrekking, ins Tierparadies der Llanos. Eine ungeschminkte Reportage.

"Anakonda Safari" – die Spannung steigt. Ein Fehlalarm liegt hinter uns. Die gewaltige Ringelspur war ins Nirgendwo des Graslands verlaufen. Nun stehen Guide Junior und seine Begleiter mit Stöcken am Rand eines Schlammtümpels, um den Pflanzenüberzug zu durchkämmen. Als sie zu stochern beginnen, kommt Leben in den Morast. Ein Kaiman ergreift die Flucht, der Schuppenpanzer glänzt in der Sonne. Kurz darauf ein Handzeichen von Orlando, der heute vom Farmarbeiter zum Anakondajäger mutiert ist. Das Signal bedeutet: Hier ist eine! Angst hat er nicht vor großen, sondern vor kleinen Anakondas mit ihren messerscharfen Zähnen. "Die beißen besonders", hatte Orlando bei der Anfahrt im Jeep erzählt und hinzugesetzt, wie er "klein" definiert: "Unter drei Metern." Eine solche zieht er hervor, Hals und Körper des Reptils fest umklammert. Er legt es vor uns im Gras ab, ein fettes Knäuel, das beginnt, sich auseinander zu ringeln. Am Bauch tritt die Zeichnung aus schwarz umrandeten gelben Fleckenovalen hervor, hinter den Augen gehen zwei rötliche Streifen ab. Es sind hornige, leblose, nie gesehene Augen. Im nächsten Feuchtgebiet wartet eine Zugabe: fünf Meter Kraft und Masse. Die längsten Anakondas erreichen neun Meter und haben Kaimane auf ihrem Beuteplan. Appetit auf Menschen verspüren die Riesenschlangen keinen, auch auf uns heute nicht. Das Anakonda- und Kaimanterrain der Llanos, jenes Flachland im mittleren Süden Venezuelas, ist der krönende Abschluss meiner Tour. Doch beginnen wir von vorn …

Eine Abendankunft am Airport von Caracas, eine der gefährlichsten Städte der Welt, ist der denkbar ungünstigste Zeitpunkt. Mario, ein Seriöser seiner Taxifahrerzunft, bringt mich zum Busterminal "Rodovias de Venezuela" in die City. Wie gleißende Spinnweben legen sich die Lichter der Häuser über die Hügel, das Massiv El Ávila zeichnet sich als düstere Wand ab. Die oft verstopften Straßen Caracas' sind um diese Zeit frei, an einer Ampel steht ein Feuerfackeljongleur. Ich zahle Mario in Euro, wechsele schwarz im Terminalcafé und kaufe mit meinen ersten Bolívares ein Nachtbusticket nach Carúpano. 500 Kilometer ostwärts, zehn Stunden, Dutzende Bodenwellen. Die Klimaanlage steht auf Frost. Ich erwache mit Sicht auf Palmen, Papayastauden, uralte Rostvehikel. Carúpano erweist sich, wie erhofft, als Glücksgriff und ideales Sprungbrett ins Umland. Am Vormittag bin ich bereits auf Tour und folge den Spuren des berühmten Naturforschers Alexander von Humboldt: zwei Fahrstunden südwestwärts zur Cueva del Guácharo, eine nach den Fettschwalm-Vögeln (spanisch: Guácharos) benannte Höhle. Speerspitzengleich stechen riesige Felsnadeln aus dem Naturgewölbe des Zugangs. Beeindruckender als die Tropfsteinwelt ist die geisterhafte Stimmung. "Schwer macht man sich einen Begriff vom furchtbaren Lärm, den Tausende dieser Vögel im dunkeln Innern der Höhle machen", hielt Humboldt fest. Daran hat sich nichts geändert. Ein gellendes, durchdringendes Gekreisch hallt aus der Tiefe. Da es den Guides verboten ist, die Fettschwalme anzuleuchten, bemerkt man bestenfalls zuckende Flügelschläge – oder einen Kotabwurf.

In Carúpano arrangiert der Travellertreff "Posada Nena" einen solchen Ausflug, auch eine Kombitour zum Traumstrand Playa Medina und zur Kakaoplantage "Chocolates Paria" im Hinterland des Fischerstädtchens Río Caribe. Die Plantage mit angeschlossenem Minibetrieb ist eine archaische Oase. Dem Fabrikbau entströmt warmer Schokogeruch, im Verpackraum arbeiten vier Frauen, darunter Osmari. Ihr wichtigstes Utensil: die Klebstofftube, mit der sie das bunt bedruckte Papier jeder einzelnen Schokotafel nach dem blitzschnellen Faltvorgang auf der Rückseite zuleimt. "Davon schaffe ich tausend am Tag", sagt sie stolz.

Im Delta des Orinoco

Szenenwechsel. Orinoco-Delta. Dunkelheit hat sich über Fluss und Dschungel gesenkt, die Nacht erwacht in tausend Geräuschen. Das wilde Ziepen und Zirpen bietet sich wie eine Welle gegen das Dröhnen des Bootsmotors auf. Am Bug harrt Führer Víctor mit seinem Handscheinwerfer aus. Der Strahl zuckt über Wurzelgeflechte, Äste, Baumkronen, Aufsitzerpflanzen. Plötzlich ein Augenpaar am Ufer. Diese Augen verraten ihn. Blitzende, orangerote Reflexe. Der Steuermann drosselt das Tempo und ändert den Kurs. Víctor greift ins Wasser, dann hält er ihn zwischen Hals und Beinchen umklammert: einen kleinen Kaiman, kaum vierzig Zentimeter lang. Touristenbeute. Víctor verlässt seinen Platz. Jeder von uns darf dem Urzeitreptil auf die Zähne und in die großen, runden Augen schauen, es berühren, mit der Hand über den glatten Bauch fahren. Dann schenkt ihm Víctor die Freiheit zurück.

Touren im Delta des Orinoco, dieser Wunderwelt aus Wasserstraßen und dichtem Grün, zählen zu den eindrucksvollsten Erlebnissen in Venezuela. Im Lebensraum der Warao-Indios haben sich Lodges und Camps wie das "Orinoco Eco Camp" auf Besucher eingestellt. Bootspirschfahrten sind Standard. Mal geht es dicht über der Wasserkante in einem Einbaum mit Paddeln los, mal in einem größeren Motorkanu durch Pflanzentunnel. Kreischend erheben sich Papageienschwärme, Kapuzineraffen turnen durch die Bäume, Teppiche aus Wasserlilien treiben vorbei. An den vielen verschlungenen Seitenarmen im Delta unterbrechen die Hütten der Warao den Gürtel der undurchdringlich scheinenden Vegetation. Trotz mehrfacher Anläufe verläuft unser Angeln erfolglos. Das Piranhafischen gerät zum Piranhafüttern, die Köder sind stets abgeknabbert.

Die "Große Savanne"

In Ciudad Bolívar bietet der Orinoco bereits eine stattliche Breite auf. Die koloniale Altstadt hat durchaus Reiz, auch die Promenade hoch über den Ufern – wären da nicht Berge voller Plastikmüll. Ein auf Leichenhallenkälte gekühlter Nachtbus schaukelt mich zwölf Stunden in die "Große Savanne", Gran Sabana. Endstation ist Santa Elena de Uairén, kurz vor der Grenze zu Brasilien. Perfekt in den Plan passt eine dreitägige Trekkingtour auf den Chirikayen, einen Tafelberg, der sich mit seinen 1650 Metern gebieterisch aus der Weite erhebt. Führerin Celeste verteilt Klopapier für drei Tage. Pro Kopf eine Rolle, das müsste reichen. Wir sind zu siebt, vier Südkoreaner, ein argentinisches Paar, ein Deutscher, dazu zwei Träger mit Vorräten und Zelten. Unser erstes Camp liegt zu Füßen des Chirikayen an einer Flussbiegung, am nächsten Morgen beginnt der Aufstieg. Stunden später stehen wir ermattet auf dem Plateau. Blütensträucher reichen an die Abbruchkante, unter uns breitet sich eine Patchworklandschaft aus Grasfluren, Felsbuckeln und Waldinseln aus. Weit entfernt, wie auf eine Großleinwand gemalt, ragen einige der magischen Giganten unter den Tafelbergen aus der Gran Sabana: Roraima, Kukekan, Yuruani.

Nationalpark Canaima

Zurück in Ciudad Bolívar, trägt mich eine Cessna dem letzten Highlight vor den Llanos entgegen: dem Nationalpark Canaima mit dem gleichnamigen Ort, dessen Strand an die Laguna de Canaima stößt. In den See donnern mehrere Wasserfälle, während der König aller Abstürze weit entfernt liegt: der Salto Angel, mit 979 Metern der höchste Wasserfall der Erde. In der Trockenzeit fallen Bootstouren in seine Nähe oft ins kärglich vorhandene Wasser. Alternative: ein Trip in einem Motorkanu über den Río Carrao bis auf Höhe der Insel Orquídea und eine Nacht im geschützten Camp in der Hängematte, am dritten Tag auf dem Weg zurück nach Ciudad Bolívar ein Panoramaflug ab Canaima. Der Schatten der Cessna zuckt über Flusswindungen und Felstürme, dann kreuzen wir das zerklüftete Plateau des Tafelbergs Auyan-Tepui bis zum Rand, bis zum Salto Angel. Die Wolkenlast des Morgens ist weg und der Wasserfall schmal, doch er zeigt sich in voller Länge - grandios. Der Pilot fliegt drei Schleifen, dann dreht er ab.