Legenden aus Spanien (Jakobsweg, Galicien)
Die vollbusigen Nymphen der Benediktiner von Samos
Entblößte Oberweiten im Kreuzgang? Splitterfasernackte Damenbrüste aus Stein an einem hochheiligen Ort der Einkehr? Irgendwann zwischen den Jahren 1713 und 1717, während der Amtszeit des Abtes Pedro Vea, rundete man den kleineren der beiden Kreuzgänge des Klosters von Samos mit einem großen Wurf ab: der Fuente de las Nereidas, dem Brunnen der Nymphen.
Juan Vázquez, ein ortsansässiger Mönch mit gestalterischer Ader, fertigte die Entwürfe und überwachte persönlich den Fortgang der Arbeiten. Im Zentrum des Hofes entsprang alsbald ein Brunnenwerk, das Experten später in höchsten Tönen lobten und Parallelen zu italienischen Meisterstücken aufwarfen. Man rühmte die Eleganz des Ensembles mit seinen ausgewogenen Schalenbecken und dem kreuzgekrönten Aufsatz und berauschte sich an den erquicklichen Effekten der plätschernden Wasser. Besondere Hand hatte man an die Nymphen gelegt, die grazil und schlangengleich aus den Tiefen stiegen und sich auf schuppigen Unterkörpern hielten. Die Nereiden, halb Frau und halb Meeresgeschöpf, waren von formvollendeter Ornamentik – und zeigten über Hüfthöhe unverhüllt ihre Reize! Zu allen Seiten des Kreuzgangs hin trugen sie ihre üppigen Rundungen zur Schau, ganz so, als sollten sie ein wenig Pläsier ins zölibatere Leben der Benediktiner bringen. Wie mochte man sich da besinnen, wenn es ein paar Meter weiter zwischen dem murmelnden Nass verlockend knisterte und die Blicke zwangsläufig über steinerne Evakostüme mit detailgetreu gehärteten Knospen wanderten? Waren dem talentierten Mönch Juan Vázquez die Wesen einzig der Fantasie entsprungen? Oder mochte er Maße an Lebendobjekten genommen haben…?
Die Fuente de las Nereidas erregte die Gemüter auf diese oder jene Art. Wer und wann genau Anstoß nahm und den Entschluss bekannt gab, die leidlich bekleideten Kreaturen aus dem Kreuzgang zu verbannen, verliert sich im Dunkel – aber dieser Zeitpunkt war eines Tages gekommen. Auf Dauer schien der Ruf des Klosters gefährdet. Die Einwände einiger Mönche blieben ungehört. Sie führten die beschützerischen Funktionen der Nereiden ins Feld, verwiesen auf die Vorbilder aus der griechischen Mythologie und stellten den rein künstlerischen Ausdruck heraus. Es half alles nichts, die Entscheidung war gefallen, der anrüchige Anstrich musste beseitigt werden. Ohne Milde begab man sich an den Abbau des Brunnens und zerlegte ihn in seine Einzelteile, um diese später problemlos abtransportieren zu können.
Die Arbeit schritt rasch voran. Mühelos ließen sich die Nereiden aus ihren steinernen Verankerungen lösen und lagen zusammen mit den kunstvollen Bassins und dem Aufsatz auf dem Boden verstreut und harrten ihrer letzten Reise.
Zuerst packten zwei Handwerker eine der Nereiden – doch diese ließ sich nicht bewegen. Seltsam, flüsterten sie, und winkten ihre Kollegen heran. Man sah sie zu viert, zu sechst, zu acht, zu zehnt. Sie hebelten und zogen und zerrten an dem barbusigen Wesen herum. Nicht einen Millimeter rührte sich die Nymphe vom Fleck.
Alle Versuche blieben erfolglos, die Arbeiter rangen nach Atem. Ihre schweren Schnaufer hallten durch den Hof und lockten den Abt und die anderen Mönche an. Sie kamen gelaufen und vernahmen die befremdlichen Klagen. Man müsse die Sache halt selbst in die Hand nehmen, gebot der Abt, und richtete vorbildhaft seinen Habit. Mit vereinten Kräften machten sich die Ordensbrüder an dieser und jener Nymphe zu schaffen. Es war vergebene Mühsal. Die felsenschwer gewordenen Nereiden blieben wie angewurzelt an ihrem Platz.
Verunsichert schickten die Benediktiner die angeheuerten Männer heim und zogen sich zu Gesprächen zurück. Tags darauf traten die Mönche vor die Arbeiter und verkündeten das Ergebnis ihrer Beratung. Man habe die deutlichen Zeichen verstanden und aus diesem Grund den Entschluss gefasst, ließ der Abt verlauten, die Fuente de las Nereidas an derselben Stelle wieder aufzubauen. Verdutzt schauten sich die Umstehenden an. Es gelte, fuhr der Abt fort, größte Vorsicht walten zu lassen und den Nereiden kein steinernes Härchen zu krümmen.
So begab man sich daran, die Fuente de las Nereidas ein zweites Mal zu errichten. Als ein Dutzend starker Männer unter eigens eingespielten Kommandos die erste Nymphe zu wuchten versuchte, fuhren sie erschrocken zurück. Das Bildnis war federleicht und brauchte kaum zwei Träger. Hier, so ahnten die Handwerker, könne es nicht mit rechten Dingen zugehen. Sie verrichteten den Auftrag in Windeseile, strichen ihren Lohn ein und wurden nie mehr gesehen.
Noch heute stehen sie dort, wie Meister Vázquez und Gott sie erschaffen haben. Der galicische Regen und die neugierigen Blicke der Betrachter tropfen an ihnen ab, sie fortzubewegen hat sich seither niemand mehr getraut: die vollbusigen Nymphen der Mönche von Samos.
Informationen zum Ort des Geschehens
Geschichte und Gegenwart: Obgleich keine gesicherten Dokumente vorliegen, scheint das Kloster von Samos bereits im 6. Jahrhundert gegründet worden zu sein. Als Schutzpatrone und Namensgeber fungieren Julián und Basilisa, zwei mutmaßlich aus Antiochia stammende Märtyrer, deren Reliquien man im Jahre 1614 von Rom nach Samos überführte.
Nach einer langen und wechselvollen Geschichte geht die jetzige Baustruktur des Klosters im Wesentlichen auf das 16. bis 18. Jahrhundert zurück. Im Kreuzgang der Nereiden, dem Claustro de las Nereidas, plätschert unverändert der beschriebene Nymphenbrunnen, an dem sich heute fünfzehn verbliebene Benediktiner erfreuen.
Lage und Anfahrt: Samos liegt zwischen O Cebreiro und Sarria unmittelbar am Jakobsweg und verfügt über eine angeschlossene Pilgerherberge. Die Durchgangsstraße führt unmittelbar um den Klosterkomplex herum.